Ölmultis wanken

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Ben van Beurden, Chef von Shell, des größten europäischen Ölkonzerns, legte am 30. Oktober in London Quartalszahlen vor. Und die sind dramatisch.
Der Stopp von Großprojekten und der Ölpreisverfall stürzten Shell im dritten Quartal mit 7,42 Milliarden Dollar tief ins Minus – es ist der größte Quartalsverlust seit einer kompletten Dekade.

Die Ölbranche sieht rot

Der italienische Eni-Konzern rutschte von Juli bis September mit 952 Millionen Euro ins Minus, der US-Ölmulti Conoco-Phillips wies im dritten Quartal einen Nettoverlust von 1,1 Milliarden Dollar aus, und der französische Rivale Total meldete einen Gewinnrückgang von 23% auf 2,75 Milliarden Dollar.

BP gibt die Hoffnung auf eine absehbare Erholung des Ölpreises auf. Investitionen werden zusammengestrichen. Dramatischen Zahlen sind ein schlechtes Omen für die gesamte Ölbranche.
Der um Sondereffekte schon bereinigte Gewinn des britischen Ölmultis brach im dritten Quartal um katastrophale 40% auf 1,8 Milliarden Dollar ein.

BP ist in der Defensive.

„Im vergangenen Jahr haben wir entscheidende Maßnahmen getroffen, um BP auf eine vorübergehende Schwäche des Marktes einzustellen“,

erklärte Dudley in London.

„Nun sind wir dabei, unseren finanziellen Rahmen auf das niedrige Preisumfeld auszurichten.“

Die Branche gibt damit ihre Hoffnungen auf eine rasche Erholung des Ölpreises auf.

Keiner könne wissen, wie lange der Preisverfall noch anhalte, klagte Rex Tillerson, der Vorstandschef von Exxon-Mobil, dem größten privaten Ölkonzern der Welt, kürzlich auf einer Konferenz in London. Seit dem Sommer 2014 hat sich der Ölpreis mehr als halbiert und der unerwartete Absturz hat die meisten Ölmanager auf dem falschen Fuß erwischt. Nach BP-Angaben betrug der Preis der Öl-Nordseesorte Brent im abgelaufenen Quartal durchschnittlich 50 Dollar. Im Vorjahreszeitraum waren es noch 102 Dollar.

Der Branche steht die Schwemme des Billigöls bis zum Hals: Der globale Ölverbrauch steigt zwar, aber das Angebot hat eben noch deutlich stärker zugelegt.
Der Energieriese Royal Dutch Shell will im laufenden Jahr 6.500 Arbeitsplätze streichen, die Investitionen um sieben Milliarden Dollar verringern und Unternehmenswerte in Milliardenhöhe verkaufen.

Auch der Energieriese BP legte bereits den Rotstift an die Zahl seiner 84.000 Mitarbeiter an und kappte dabei vor allem im Bereich der Nordsee weitere Stellen, wo sich zu derzeitigen Preisen kaum profitabel fördern lässt.

Die Folgen des Billigöls für die Branche sind unübersehbar. Bernard Duroc-Danner, der Chef des Öldienstleisters Weatherford, sprach von „brutalen“ Kostensenkungen.

„Ich vermute, bis Ende des Jahres werden 250.000 bis 300.000 Beschäftigte in der Branche ihren Job verloren haben“,

sagte der Manager kürzlich in London. Die Internationale Energieagentur (IEA) schätzt, dass die Ölkonzerne dieses Jahr ihre Investitionen in neue Öl- und Gasfelder um mindestens ein Fünftel zusammenstreichen. 2016 werden viele Unternehmen den Sparkurs wohl fortsetzen.

Den Konzernen fällt es immer schwerer, die traditionell üppigen Dividendenzahlungen noch aus dem Cashflow zu finanzieren. BP-Chef Dudley betonte in London jedoch, die Priorität des Unternehmens sei es, in dem schwierigen Marktumfeld die Dividende für die Aktionäre zu sichern.

So wissen wir wenigstens, was den Ölmultis wirklich wichtig ist.

Aber:
Der rigide Sparkurs der Ölriesen ist für die Weltwirtschaft ein grosses Risiko.

„Die Vorstellung, dass es für die Verbraucher umso besser ist, je niedriger die Ölpreise sind, ist falsch“,

warnte Fatih Birol, der Direktor der Internationalen Energieagentur (IEA), die 28 Regierungen in aller Welt berät, jüngst.

Birols Befürchtung: Wenn die Branche heute wegen des niedrigen Ölpreises zu wenig investiert, drohen in einigen Jahren Nachschubengpässe und ein drastischer Preisanstieg, der die globale Wirtschaft hart treffen könnte. Der Ölparty von heute könnte dann ein umso größerer Kater folgen.

An anderer Stelle hatten wir bereits darauf hingewiesen, dass die Krise des Ölsektors Auswirkungen hat für das gesamte weltweite Finanzsystem. Diese Zeitbombe wird von der Mainstreampresse unter den Teppich gekehrt:

Der komplette Ölsektor nimmt pro Jahr nun ungefähr 2 Billionen Dollar weniger ein als erwartet. Jüngstes Beispiel:
Der norwegische Staatsfonds – das ist der grösste der Welt – hat nicht nur im dritten Quartal 2015 einen Verlust gemacht von 29 Milliarden Euro oder 4,9%. Das kann mal passieren.

Weitaus interessanter:
Der Fonds, dessen Volumen sich im letzten Jahrzehnt mit dem Boom des Ölpreises mehr als versechsfacht hatte, steht vor einer neuen Ära.

Die Geldspeisungen aus den Ölexporterlösen Norwegens dürften bereits im kommenden Jahr wegfallen.

Und nun geschieht das Gegenteil: Aus Haushaltsunterlagen der Regierung geht hervor, dass sie 2016 rund 440 Millionen Dollar aus dem Fonds abziehen will. Die Regierung hat ihre direkten Erträge aus dem Ölgeschäft verbraucht, um die Wirtschaft vor dem Rutsch der Ölpreise von 50% abzuschirmen.

Das Pendel schlägt zurück.

  • Die Ölbranche speist nicht mehr den Kapitalanlagemarkt.
  • Aus dem Kapitalanlagemarkt werden Mittel abgezogen, um Lücken zu stopfen.

Außerdem:

  1. Es gibt extrem viele Finanzderivate, die vom Öl abhängen, und die häufig mit dem Faktor 10 gehebelt sind!
  2. Es gibt verläßliche Schätzungen, daß das Finanzvolumen der Ölderivate sich auf ungefähr 700 Billionen Dollar beläuft. Das entspricht dem Zehnfachen der globalen Wirtschaftsleistung!
  3. Die Aktienkurse der großen Ölkonzerne werden einbrechen und damit weltweit die Aktienindizes nach unten ziehen.
  4. Die Banken werden nicht mehr wissen, wer noch solvent ist, und wem man weiterhin Geld leihen kann. Damit bricht die Kreditversorgung der Wirtschaft durch die Banken zusammen wie erst kürzlich in den Jahren 2008-2009.

Warum wohl zeigt niemand diese Zusammenhänge auf?

Dringt das ins öffentliche Bewusstsein, können die Zentralbanken so viel Geld wie sie wollen in den Markt pumpen, das Vertrauen ins Dollar-Finanzsystem wäre fundamental und dauerhaft erschüttert mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen.