Explosive Leichen in Draghis Keller

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Zwischen dem Jahr 2006, also vor Ausbruch der Finanzkrise, und 2012, dem Höhepunkt der Euro-Krise, haben europäische Notenbanken für rund 510 Milliarden Euro Wertpapiere aufgekauft und im Gegenzug frisches Geld in die Märkte gepumpt. Bis Ende 2014 stiegen die Wertpapierkäufe sogar auf mehr als 720 Milliarden Euro.

Nun wird von niemandem mehr bezweifelt, dass die Notenbanken auch Anleihen des eigenen Staates gekauft und so die Schulden der Krisenländer finanziert haben – obwohl die Schuldenfinanzierung den Zentralbanken definitiv verboten ist.

Neuere Zahlen liegen noch nicht vor. Besonders die Banca d’Italia und die Banque de France waren sehr aktiv. Die Käufe finden in einer Grauzone statt, dem vertraulichen, nicht-öffentlichen Anfa-Abkommen (Agreement on net-financial assets). Das Abkommen regelt die Spielräume, die nationale Notenbanken für

„nichtgeldpolitische“ Anlagen

haben.

Anfang Dezember 2015 wurde EZB-Chef Mario Draghi in der Pressekonferenz von der FAZ direkt auf Anfa und die hohen Wertpapierkäufe angesprochen. Er reagierte ausgesprochen gereizt. Die Kaufstrategien der nationalen Notenbanken seien

„schwer zu verstehen“,

gab er zu. Doch könne er

„ausschließen, dass es sich um monetäre (Staats-)Finanzierung handelt“.

Was dieser Herr nicht alles spontan ausschliessen kann, wenn er mit einer Frage konfrontiert wird, auf die er augenscheinlich nicht vorbereitet war.

Weitere Details könne er nicht nennen. Man solle die nationalen Notenbanken fragen. Als ob die Notenbanken ohne Wissen von Mario Draghi gehandelt hätten! Oder sagte Draghi den Notenbanken in ihrer verzweifelten Finanzsituation,

„macht was Ihr wollt, aber ich weiss von nichts“?

Draghis Antwort und sein Verhalten machen klar: Draghi hat was zu verbergen. Da liegen Leichen im Keller, gefüllt mit Dynamit.

„Draghis Antwort zu Anfa ist nicht überzeugend“,

erklärte auch Francesco Papadia noch während der Pressekonferenz. Papadia ist nicht irgendwer. Bis Ende 2012 war er Chef der Generaldirektion Marktoperationen der EZB. Seitdem unterrichtet er an verschiedenen Universitäten.

„Die EZB sollte voll informiert werden über die Aktionen der nationalen Notenbanken, um sicher zu sein, dass es keine Auswirkungen auf die Geldpolitik gibt“,

schrieb er. Offenbar weiß die Zentrale nicht genau, in welchem Maß die nationalen Notenbanken ihre Spielräume nutzen oder auch überziehen.

Die Enthüllungen über die Anfa-Käufe und Draghis Antwort haben auch in Deutschland eine Debatte ausgelöst.

„Die Notenbanken im Europäischen System der Zentralbanken müssen dringend offenlegen, wie weit sie bereits mit ihren Anleihekäufen gegangen sind. Es ist ein Skandal, dass die EZB darüber unzureichend informiert ist“,

sagte der Finanzwissenschaftler Lars Feld, immerhin Mitglied des Rats der Wirtschaftsweisen. Auch die nationalen Notenbanken unterlägen dem Verbot der monetären Staatsfinanzierung. Die EZB müsse sicherstellen, dass dies

„nicht durch die Hintertür umgangen wird“.

Der Makroökonom Ansgar Belke zeigte sich überrascht über Draghis aggressive Reaktion in der Pressekonferenz:

„Es verfestigt sich leider der Eindruck einer Vernebelungstaktik.“

Der EZB-Chef habe die kritischen Punkte in keiner Weise geklärt.

Das Anfa-Abkommen wird geheim gehalten.

Das alles hat nichts mit Transparenz und rechtlich sauberen Institutionen zu tun. Min demokratischen Vorstellungen schon gar nichts.

Man beachte:
Selbst in den Zentralbanken haben nur wenige hochrangige Personen Zugang zu dem Anfa- Dokument.

Im Zuge der Griechenland-Krise wurde die Existenz des Anfa-Abkommens in Briefen der EZB zum ersten Mal thematisiert.

Detailliert untersucht hat die Anfa-Käufe eine kürzlich veröffentlichte Studie des Berliner Finanzwissenschaftlers Daniel Hoffmann. Nach seinen Berechnungen könnte

  • die italienische Notenbank dabei für 108 Milliarden Euro Staatsanleihen gekauft haben.
  • Die französische habe ähnlich hohe Beträge für staatliche Papiere ausgegeben,

 

schätzt Hoffmann.

Auch

  • in Irland
  • und Belgien
  • sowie in Griechenland

 

haben die Notenbanken erstaunlich hohe Positionen angekauft, hat Hoffmann in seiner Dissertation

„Die EZB in der Krise“

ausgeführt.

Die Notenbanken verwischen dabei die Spuren der Käufe.

Diese Spuren werden in den Bilanzen und Geschäftsberichten der meisten Notenbanken nicht klar ausgewiesen, sondern in Sammelpositionen unter dem Namen

„sonstige Wertpapiere“

versteckt. Hoffmann war aufgefallen, dass diese Positionen im Zuge der Krise explosionsartig gestiegen waren.

Besonders kritisch sieht Hans-Werner Sinn, der Chef des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, die Enthüllungen, dass die nationalen Notenbanken in großem Stil und in Eigenregie private und staatliche Wertpapiere kaufen und dafür

„Zusatzgeld“

schaffen. Er sieht die Anfa-Käufe im Zusammenhang mit den problematischen Target-Salden, die Notenbank-Schulden im Eurosystem anzeigen, und den Ela-Notkrediten für angeschlagene Banken.

„Das Schöne am Euro ist, dass man sich im eigenen Keller Geld drucken kann, das in anderen Ländern als gesetzliches Zahlungsmittel anerkannt ist“,

ätzte der Euro-Kritiker.

Draghi hatte die Möglichkeit genannt, dass Zentralbanken die Spielräume von Anfa nutzen, um Wertpapierinvestitionen zur Deckung künftiger Pensionsverpflichtungen zu tätigen. Das tut beispielsweise die Bundesbank. Laut ihrem Geschäftsbericht hat sie Finanzanlagen von 12,4 Milliarden Euro. Diese bestehen tatsächlich größtenteils aus Anlagen des Grundkapitals, Wagnisrückstellungen und Vorsorge für die Pensionskosten. Die Summe von 12,4 Milliarden Euro erscheint im Vergleich sogar noch maßvoll.

Bei den Anleihekäufen der Banca d’Italia und der Banque de France, die um rund den Faktor zehn größer sind, mutiert der Verdacht zur Gewissheit, dass sie der Stützung der angespannten Staatskassen dienten. Die zusätzliche Nachfrage der Notenbank reduziert den Zins, den der Finanzminister zahlen muss. Der Bonner Geldpolitik-Professor Manfred Neumann spricht von einer

„nicht legitimen Staatsfinanzierung über die Notenbank“.

Dem Vernehmen nach kann der EZB-Rat nationale Notenbanken bremsen, wenn deren Käufe die Quoten im Rahmen des Anfa-Abkommens überschreiten. Mit Zweidrittelmehrheit kann der EZB-Rat Wertpapiergeschäfte stoppen, wenn sie die allgemeine Geldpolitik beeinträchtigen. Die explosionsartige Ausweitung der Käufe einiger Notenbanken in der Krise soll im EZB-Rat verschiedentlich kritisch zur Sprache gekommen sein. Doch auf die Aufforderung, die Eigenportfolios zurückzufahren, reagierten die angesprochenen Notenbanken nur äußerst zögerlich.

Selbst unter erfahrenen Zentralbankern gilt das intransparente Anfa-Abkommen als ein Mysterium, das schwer zu rechtfertigen sei.

EZB-Präsident Mario Draghi hat unterdessen Anfang Dezember bei einer Veranstaltung in New York gesagt, dass die angekündigten Staatsanleihekäufe von 1,5 Billionen Euro der Zentralbanken nicht das oberste Ende der Fahnenstange sind. Um die Inflationsrate wieder in Richtung des gewünschten Zielwertes zu haben, sei prinzipiell noch eine größere Geldflut vorstellbar. Draghi sagte wörtlich:

„Es gibt keine Grenze.“

Es wird nur noch geschummelt und hintergangen. Dieses Finanzsystem kann keine Zukunft haben. Diese Luftschlösser müssen einfach kollabieren. Und das kann schnell passieren, ein kleiner Fehler der Akteure, eine winzige Unachtsamkeit nur und das Dynamit in den Leichen im Keller bringen das Finanzsystem zum Einsturz.

Wer diesem Finanzsystem noch immer vertraut, möge weiterschlafen.