Zollfreilager

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Politisch gewollte Freiräume

Immer mehr Vermögende weltweit legen einen Teil ihres Geldes in Wertsachen an. In Kunst, Gold, Diamanten oder Wein zum Beispiel. Diese Güter müssen irgendwo gelagert werden – und Zollfreilager sind beliebt, weil sie nach dem Niedergang des Bankgeheimnisses einer der letzten Orte sind, wo man Vermögen anonym parken kann.

Zollfreilager wurden ursprünglich geschaffen, um den Handel zu erleichtern. In den Gebäuden kann man unversteuerte und unverzollte Rohstoffe wie Kaffeebohnen, Seide oder Chemikalien lagern, allenfalls veredeln und dann wieder exportieren – oder die Güter steuer- und zollfrei aufbewahren und irgendwo importieren, wenn die Ware gebraucht wird. So können Papierkrieg und Zinsen auf Zollabgaben vermieden werden.

In der Schweiz z.B. gibt es zehn klassische Zollfreilager.

Kunst, Wein, Diamanten und Edelmetall: Nach dem Ende des Bankgeheimnisses legen immer mehr Leute ihr Geld in Wertsachen an und lagern diese in der Schweiz. Das Geschäft mit steuerbefreiten Hochsicherheitslagern boomt.

“Die Nachfrage ist merklich gestiegen”, sagt Dolf Wipfli, Chef von Swiss Datasafe. Der Grund: Das Vertrauen ins Banken- und Finanzsystem sei stark angeschlagen.

Seine Firma hat mehrere alte Militäranlagen in den Alpen gekauft (unter anderem den alten Bundesratsbunker in Amsteg) und diese zu Hochsicherheitslagern umfunktioniert. “Wir bewahren Gold, Silber, Platin, Seltene Erden, Bargeld, Kunst, Diamanten und Schmuck auf”, sagt Wipfli. Die umfunktionierten Armeebunker haben ebenfalls den Status eines Offenen Zolllagers. In- und ausländische Kunden können hier ihre Wertsachen anonym und mehrwertsteuerbefreit aufbewahren.

Das Gebäude sieht unscheinbar aus, eine Betonlagerhalle in einem Industriequartier mitten in der Schweiz. Ein bisschen Stacheldraht auf dem Zaun, Lieferwagen vor der Tür – man vermutet hier eine normale Speditionsfirma. Was nicht sichtbar ist: Das Gebäude ist eine Festung. Es wird permanent überwacht, ins Innerste gelangt man nur über mehrere Sicherheitsschleusen. Zutritt erhalten nicht viele Personen, denn je weniger wissen, was sich hier befindet, desto sicherer. Im mehrstöckigen Lager wird Kunst in Millionenhöhe aufbewahrt. Berühmte Bilder, die wir von Ausstellungsplakaten her kennen, aber auch private Sammlungen von Familien und Stiftungen. Wo sich das Lagerhaus genau befindet, darf nicht erwähnt werden. Auch über die Bilder darf nichts geschrieben werden. “Das ist ein diskretes Geschäft”, lautet die Begründung.

Das Gebäude ist ein sogenanntes Offenes Zolllager. Bilder, antike Möbel und Skulpturen können hier jahrzehntelang aufbewahrt werden, ohne daß diese tatsächlich in die Schweiz eingeführt werden. Steuertechnisch ist das Lager ein Niemandsland, eine Insel mitten in der Schweiz. “Unsere Kunden kaufen zum Beispiel Bilder auf einer Auktion in London, wissen aber noch nicht, was sie damit machen wollen”, erklärt der Kunstlogistiker. Im fensterlosen, klimatisierten Lager können die Gemälde bleiben, bis sie weiterverkauft oder aufgehängt werden. Sobald die Kunstwerke aus dem Lager genommen und nicht exportiert werden, müssen sie offiziell in die Schweiz eingeführt werden. Dann ist auch die Mehrwertsteuer fällig.

“Der Zoll ist jederzeit darüber informiert, was bei uns gelagert wird, aber er erhält keine Kundeninformationen”, sagt Wipfli. Offene Zolllager garantieren so Schutz vor ausländischen Steuerbehörden – kooperiert wird nur bei einem Rechtshilfegesuch aus dem Ausland. Swiss Datasafe bewahre “nur ordentlich versteuerte Sachen” auf, sagt Wipfli. Zudem: Wenn jemand fünf Tonnen Gold einlagern wolle, prüfe man, ob es “plausibel” sei, daß der Kunde ein derartiges Vermögen besitze.

Es sind unspektakuläre Räume, wenn man nicht weiß, welche Kostbarkeiten darin aufbewahrt werden. Im erwähnten Kunstlager riecht es nach Papier und Karton; Kisten und Pakete reihen sich aneinander, auf Regalen stehen verpackte Bilder. Das Auffälligste sind gelbe Quadrate am Boden, die mit Buchstaben und Zahlen beschriftet sind: die Ortsangaben für die Zöllner. Bei Stichproben wird kontrolliert, ob sich die gemeldeten Gegenstände tatsächlich noch im Lager befinden und nicht heimlich in die Schweiz eingeführt worden sind.

Vor einem Jahr sagte der UBS-Vermögensverwaltungschef Jürg Zeltner, daß durch die Neuausrichtung des Finanzplatzes insgesamt Hunderte Milliarden Franken aus der Schweiz abfließen würden. Nicht alles Geld, das die Banken verlieren, verläßt jedoch das Land. “Zurzeit transferieren verschreckte Kunden ihr Vermögen von den Banken in die Lager der Stadt”, sagte eine Mitarbeiterin des Genfer Zollfreilagers im Sommer dem deutschen Magazin “Der Spiegel”.

Ein Indiz, dass Bargeld im großen Stil abgehoben wurde und gehortet wird, sind die vielen Tausendernoten im Umlauf. In den letzten sechs Jahren stieg der Anteil von Tausendernoten an der Gesamtgeldmenge von 55 auf 61 Prozent. Laut Nationalbank deutet das darauf hin, “daß Banknoten nicht nur als Zahlungs-, sondern in erheblichem Umfang auch als Wertaufbewahrungsmittel verwendet werden”.

Größter Profiteur dieser Entwicklungen ist in der Schweiz das Zollfreilager Genf, das sich seit den 70er-Jahren auf die Lagerung von Kunst und anderen Wertsachen spezialisiert hat. Hier gibt es klimatisierte Lagerräume, Safes, Garagen für Luxusautos, einen Weinkeller für 3 Millionen Flaschen und Showrooms, um mit den Waren gleich vor Ort zu handeln. 41 Prozent der 140’000 Quadratmeter grossen Fläche werden für die Lagerung von Kunst verwendet. Allein die aus dem Libanon stammende Nahmad-Dynastie soll dort Dutzende von Picassos aufbewahren.

Welche Vermögen in Zollfreilagern gehortet werden, ist nicht öffentlich bekannt. Es sind jedoch so große Summen, daß die Versicherungsgesellschaften an ihre Grenzen stoßen. “In Genf ist die Akkumulation von Werten so hoch, daß bei gewissen Versicherern die Höchstlimite erreicht ist”, sagt David Saillen, Geschäftsführer von Axa Art Schweiz. Die Tochtergesellschaft der Axa-Art-Gruppe ist führend darin, die Wertsachen in Schweizer Zollfreilagern zu versichern. Ein Brand in Genf wäre laut Saillon eine Katastrophe für die ganze Versicherungswirtschaft.

Neben den zehn grossen Zollfreilagern gibt es immer mehr Logistiker, die vom Boom profitieren wollen und ein eigenes Offenes Zolllager einrichten: “In den letzten Jahren sind neue Firmen ins Geschäft eingestiegen”, sagt Saillen. Die Lagerkapazität für Wertsachen sei in der Schweiz um mindestens 20 bis 30 Prozent gewachsen. “Es gibt auch vermehrt ausländische Spediteure, die in der Schweiz Land suchen für ein Offenes Zolllager.” Er erwarte, daß der Boom anhalte und die Kapazität um weitere 30 Prozent vergrößert werde. Insgesamt gibt es in der Schweiz 238 Offene Zolllager. In welchen davon Kunst oder Gold aufbewahrt wird, wird von der Zollverwaltung nicht kommuniziert.

Das Modell der Zollfreilager ist legal und politisch gewollt – obwohl es “ein offenes Geheimnis ist, daß im Genfer Zollfreilager viele Franzosen und Italiener ihre Vermögen vor den Steuerbehörden in Sicherheit bringen”, wie ein Insider sagt. Zudem seien viele der eingelagerten Kunstwerke lediglich ein Vehikel, um Geld zu waschen, so der Insider. Speditionsfirmen, die Wertsachendepots betreiben, gelten nicht als Finanzinstitut und sind deswegen nicht dem Geldwäschereigesetz unterstellt. Sie müssen lediglich wie “normale Bürger” prüfen, ob sie sich der Geldwäscherei schuldig machen.

Die Zollfreilager-Betreiber wehren sich gegen den Vorwurf, daß man bei ihnen etwas verbergen könne. “Zollfreilager sind keine Verstecke”, sagt Marco Gredig, der Präsident des Zollfreilager-Verbandes. Tatsächlich müssen die Lagerbetreiber ein Inventar führen – bei Bildern wissen die Zöllner zum Beispiel genau, um welchen Picasso es sich handelt.

Fakt ist aber auch, daß sich die Zollbehörde nicht wirklich für die Herkunft der gelagerten Güter interessiert.

“Wir betrachten die Ware aus zollrechtlichem Blickwinkel – den Gegenstand selber schauen wir in der Regel nicht an”, sagt Beat Frei von der Oberzolldirektion. Man schreibe den Spediteuren nicht vor, was sie aufbewahren dürften und was nicht. Geld oder Goldbarren seien nichts Außergewöhnliches. “Wir von der Zollverwaltung können nicht prüfen, ob dies sauberes oder unsauberes Gold oder Geld ist”, sagt Frei.