Wissenschaftler empört über Fake-News aus Bundesinnenministerium

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Wieso hat das BMI (Bundesinnenministerium) das Ansinnen des Mitarbeiters nicht unterstützt und wieso bezieht das BMI die nun vorliegende umfangreiche Analyse auf dem Boden fachlich hochwertiger externer Expertise nicht bei seiner Einschätzung bezgl. des Verhältnisses von Nutzen und Schaden der Corona-Schutzmaßnahmen ein?

Das fragen die hochangesehene Wissenschaftler, die mit Oberregierungsrat Stephan Kohn aus dem Bundesinnenministerium zusammengearbeitet hatten, nämlich:

  1. Prof. Dr. Sucharit Bhakdi, Universitätsprofessor für Medizinische Mikrobiologie (im Ruhestand) Universität Mainz
  2. Dr. med. Gunter Frank, Arzt für Allgemeinmedizin, Mitglied der ständigen Leitlinienkommission der Deutschen Gesellschaft für Familienmedizin und Allgemeinmedizin (DEGAM), Heidelberg
  3. Prof. Dr. phil. Dr. rer. pol. Dipl.-Soz. Dr. Gunnar Heinsohn, Emeritus der Sozialwissenschaften der Universität Bremen
  4. Prof. Dr. Stefan W. Hockertz, tpi consult GmbH, ehem. Direktor des Instituts für Experimentelle Pharmakologie und Toxikologie am Universitätskrankenhaus Eppendorf
  5. Prof. Dr. Karina Reiß, Department of Dermatology and Allergology University Hospital Schleswig-Holstein
  6. Prof. Dr. Peter Schirmacher, Professor der Pathologie, Heidelberg, Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina
  7. Prof. Dr. Andreas Sönnichsen, Stellv. Curriculumsdirektor der Medizinischen Universität Wien Abteilung für Allgemeinmedizin und Familienmedizin, Vorsitzender des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin (DNEbM)
  8. Dr. med. Til Uebel, Niedergelassener Hausarzt, Facharzt für Allgemeinmedizin, Diabetologie, Notfallmedizin, Lehrarzt des Institutes für Allgemeinmedizin der Universität Würzburg, akademische Lehrpraxis der Universität Heidelberg
  9. Prof. Dr. Dr. phil. Harald Walach, Prof. Med. Universität Poznan, Abt. Pädiatrische Gastroenterologie, Gastprof. Universität Witten-Herdecke, Abt. Psychologie

Die Erklärung der Wissenschaftler wurde nicht nur an das Bundesinnenministerium gesandt, sondern auch an einen Presseverteiler. Die Presse lässt das Thema weitgehend unter den Tisch fallen. Eine bemerkenswerte Ausnahme ist uns aufgefallen:

Die BILD-Zeitung nimmt sich des Skandals an

und fragt:

Landet das Alarm-Papier jetzt auf dem Müll?

“Das umstrittene Papier eines Referenten des von Horst Seehofer (70, CSU) geführten Bundesinnenministeriums (BMI) beschäftigt die Hauptstadt. Der brisante Inhalt: Oberregierungsrat Stephan Kohn warnte darin vor „gesundheitlichen Kollateralschäden“ der staatlichen „Maßnahmen und Beschränkungen in der Coronakrise 2020“, er bezog sich dabei auch auf Wissenschaftler.

Die Kernpunkte seiner Thesen:

► „Zwischen unter 5000 bis zu 125 000 Patienten, die aufgrund von verschobenen Operationen versterben werden/schon verstarben.“

► Weitere „Tausende Tote“ durch „abgesagte Folgebehandlungen“ von Operationen („zum Beispiel Krebs, Schlaganfall, Herzinfarkt“), durch Selbstmorde (unter anderem durch fehlende Versorgung von „psychisch Instabilen“ während der Kontaktverbote).

► Zusätzliche Tote „durch Herzinfarkt und Schlaganfall“ bei Patienten, die sich wegen der Corona-Schließungen nicht mehr zur Vorsorge in Kliniken trauen.

Wird man die Thesen unter den Teppich kehren oder sich tatsächlich damit beschäftigen?

In der Unionsfraktion des Bundestags forderten gleich mehrere Abgeordnete Aufklärung über das interne Papier. Doch die Antwort ließ auf sich warten. Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (51, CDU) lehnte die Beantwortung sogar kategorisch ab.

Unter den Abgeordneten der als Videokonferenz abgehaltenen Fraktionssitzung wuchs derweil die Verärgerung. Mehrere verlangten vom Fraktionschef, das Thema nicht einfach durch Nichtbefassung wegsacken zu lassen. Nach BILD-Informationen meldete sich schließlich der Abgeordnete Axel Fischer (54, CDU) zu Wort und forderte einen offenen Umgang mit dem Papier. Es interessiere ihn nicht, ob der Verteiler korrekt oder der Verfasser befugt war, die Ausarbeitung zu verschicken. Es gehe vielmehr um die inhaltliche Kritik, die darin an der Corona-Politik geübt werde, sagte er nach Teilnehmer-Angaben. Man müsse sich nicht wundern, wenn Demonstrationen Zulauf erhielten, weil der Eindruck entsteht, es werde nicht mit offenen Karten gespielt.

Was wird jetzt aus dem Dokument?

Am Ende der Videoschalte nahm der parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Günter Krings (50, CDU), zu dem Vorgang Stellung. Der betreffende Mitarbeiter sei nicht mehr in der bisherigen Funktion tätig. Es sei ein beamtenrechtliches Disziplinarverfahren gegen ihn wegen unerlaubter Weitergabe von Informationen eingeleitet worden. Und dann: Inhaltlich werde man sich mit dem Papier aber befassen. Nach Teilnehmerangaben gab es dafür einhellige Unterstützung, Widerspruch wurde nicht laut.

Wirklich?

Weder Innen- noch Gesundheitsministerium wollen sich dazu äußern, reagieren im Hintergrund höchst genervt auf die Einwände des Referenten und seiner Experten – unter ihnen der führende deutsche Pathologe, Prof. Peter Schirmacher, Mitglied der Leopoldina-Akademie, die nach den Worten von Kanzlerin Angela Merkel eine „wichtige Rolle“ in der deutschen Corona-Politik gespielt hat. Auch Regierungssprecher Steffen Seibert betonte in der Bundespressekonferenz, Kohns Analyse „war kein Gegenstand der Sitzung des Coronakabinetts“.

Das heißt: Die Inhalte der Kohn-Thesen werden nicht weiter beachtet, gegen den Verfasser werden dagegen eingehende Untersuchungen eingeleitet. Kohn geht nicht mehr ans Telefon

Derweil sitzt der Verfasser des Papiers, Stephan Kohn (57, SPD), überwiegend in seiner Wohnung in Berlin, kümmert sich um Frau und Kinder, geht nicht mehr ans Telefon. Seine E-Mail-Adresse in der Behörde ist abgestellt.

Kohn sei „von der Erfüllung seiner Dienstpflichten entbunden“, wie ein Ministeriumssprecher am Dienstag mitteilte. Der Referent, zuständig für den „Schutz Kritischer Infrastruktur“ (also auch gesundheitliche Versorgung) habe „seine private Auffassung zu den Maßnahmen, die die Bundesregierung ergriffen hat, veröffentlicht oder zumindest verbreitet“, so der Seehofer-Sprecher. „Er tat das unter Verwendung des BMI-Briefkopfs. Das heißt, optisch erweckt es den Anschein, es sei eine institutionelle oder offizielle Meinung des Hauses, was aber in diesem Fall nicht gegeben ist.“ Das Ministerium habe „durch innerdienstliche Maßnahmen sichergestellt, dass eine solche irreführende Information der Öffentlichkeit zunächst einmal nicht mehr möglich ist“. Kohn selbst erwartet nun sein disziplinarrechtliches Verfahren. Im Ministerium und unter Kollegen wird er unterschiedlich eingeschätzt.

▶️ In der Führungsebene bis hin zu den Staatssekretären betonen Beamte, Kohn sei ein Eigenbrötler, eine Art Einzelkämpfer, dessen Ansichten in den vergangenen Monaten immer rabiater geworden seien.

▶️ Kollegen seiner Abteilung halten ihn dagegen für einen „hochseriösen Mitarbeiter“, dessen Papier „sauber und wissenschaftlich wiedergibt, was führende Experten über die Corona-Politik der Bundesregierung, des Innen- und des Gesundheitsministers denken“. Aus ihrer Sicht wird Kohn von seinem Minister „hängen gelassen und wie ein Durchgeknallter behandelt“.

Tatsache ist: Laut Hamburger Innenbehörde wurden zuständige Mitarbeiter in den Krisenstäben der Länder angewiesen, Kohns Papier „als gegenstandslos zu betrachten und zu vernichten“.

Was nicht sein  darf, weil es nicht in den Mainstream passt, wird vernichtet. Auch durch Verschleierung von Tatsachen schafft man Fake-News.

Hier nun das sehr ausgewogene Fazit der zurecht empörten Wissenschaftler:

Insgesamt haben wir auf Anfrage eines couragierten Mitarbeiters des BMI die vielfältigen und schweren unerwünschten Wirkungen der Corona-Schutzmaßnahmen im medizinischen Bereich aufgezeigt und diese sind gravierend.

Für uns ergibt sich aus dem gesamten Vorgang der Eindruck, dass nach einer sicher schwierigen Anfangsphase der Epidemie nun die Risiken nicht im notwendigen Maß und insbesondere nicht in einer umfassenden Risikobetrachtung bedacht worden sind. Bezüglich der Berichterstattung zu diesem Vorgang bitten wir darum, die inhaltliche Wertigkeit unserer Analyse in das Zentrum zu stellen, und über uns, in Amt und Person, der ernsten Situation angemessen zu berichten.

Die durch das Coronavirus SARS-CoV-2 ausgelöste Erkrankung Covid-19 verläuft für viele Menschen der bekannten Risikogruppen schwerwiegend. Wie für jede schwere Infektionserkrankung gilt es, für die Patienten die beste Behandlung zu finden und Infektionswege zu unterbinden. Aber therapeutische und präventive Maßnahmen dürfen niemals schädlicher sein als die Erkrankung selbst.

Ziel muss es sein, die Risikogruppen zu schützen, ohne die medizinische Versorgung und die Gesundheit der Gesamtbevölkerung zu gefährden, so wie es gerade leider geschieht. Wir in Wissenschaft und Praxis sowie sehr viele Kolleginnen und Kollegen erleben täglich die Folgeschäden der Corona-Schutzmaßnahmen an unseren Patienten. Wir fordern deshalb das Bundesministerium des Innern auf, zu unserer Pressemitteilung Stellung zu nehmen und hoffen auf eine sachdienliche Diskussion, die hinsichtlich der Maßnahmen zur bestmöglichen Lösung für die gesamte Bevölkerung führt.

Die komplette Verlautbarung der Wissenschaftler als PDF:

Pressemitteilung_der_externen_Experten_des_BMI_Papiers_plus_ORR

Steingarts Mornungbriefing vom 14. Mai

nahm sich nun ebenfalls des Vertuschungsversuches der Bundesinnenministriums an. Demnach hat:

Ein Mitarbeiter des Bundesinnenministeriums vor einigen Tagen ein 80-seitiges Papier zu den Folgen der Corona-Krise veröffentlicht. Stephan Kohn heißt der Mann, er bekleidete das Amt eines Oberregierungsrats, zuständig für „kritische Infrastrukturen“, also auch den medizinischen Komplex in Deutschland. In seinem Papier heißt es:

Bei der Versorgung von (in DEU insgesamt 3,5 Mio. Menschen) sinkt aufgrund von staatlich verfügten Beschränkungen das Versorgungsniveau und die Versorgungsqualität (in Pflegeeinrichtungen, bei ambulanten Pflegediensten sowie bei privat / innerfamiliär durchgeführter Pflege). Da erwiesenermaßen das gute Pflegeniveau in DEU viele Menschen vor dem vorzeitigen Versterben bewahrt (das ist der Grund dafür, dass dafür so viel Geld aufgewendet wird), wird die im März und April 2020 erzwungene Niveauabsenkung vorzeitige Todesfällen ausgelöst haben.“

Bei 3,5 Mio. Pflegebedürftigen würde eine zusätzliche Todesrate von einem zehntel Prozent zusätzliche 3.500 Tote ausmachen. Ob es mehr oder weniger seien, könne mangels genauerer Schätzungen nicht gesagt werden.

Explizit wird vor den gesundheitlichen Kollateralschäden der Pandemie-Bekämpfung gewarnt. Dort heißt es, dass bis zu 125.000 Patienten aufgrund von verschobenen Operationen in diesem Jahr sterben könnten. Die Intensivstationen und Operationssäle würden für den befürchteten Corona-Ansturm freigehalten, der bisher nicht erfolgte.

Der Autor des Papiers wurde unverzüglich vom Dienst suspendiert. Als Kronzeugen benennt er den Pathologen Prof. Peter Schirmacher, Mitglied der Leopoldina-Akademie. Was also ist dran an diesen Zahlen und Zuständen, die der Beamte beschrieb oder auch nur vermutete? Das wollte ich vom Präsidenten der Bundesärztekammer Dr. Klaus Reinhardt wissen. Seine Antwort:

“Ich glaube, das kann zum jetzigen Zeitpunkt keiner ernsthaft beantworten. Aber diese Frage grundsätzlich zu stellen, halte ich für angemessen. Was wir tun im Rahmen der Maßnahmen, ist ja erheblich. Auch in Bezug auf die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung und der übrigen zahlreichen Erkrankungen, die auch einer Behandlung bedürfen.“

Über die Situationen in den Kliniken und die Auslastung sagt er:

“Wir haben deutliche Berichte dazu empfangen, dass es einen erheblichen Rückgang bei der Behandlung der übrigen Erkrankungen gibt und die Beobachtung, dass man zum Beispiel in den Notambulanzen der Berliner Kliniken deutlich weniger Schlaganfälle und Herzinfarkte gesehen hat in den letzten Wochen.“

Er regt eine wissenschaftlich fundierte Erhebung zu diesem Sachverhalt an:

“Es gibt keine Erhebungen meines Wissens darüber. Die könnte man aber anstellen, wenn man zum Beispiel Abrechnungszahlen gegenüber den Krankenkassen sich anschaut, es wird ja diagnosebezogen abgerechnet. Insofern könnte man auf dieser Basis durchaus recherchieren, ob jetzt die tatsächliche Zahl der behandelten Infarkte oder Schlaganfälle zurückgegangen ist.“

Fazit: Der Mann aus dem Innenministerium hat ohne echte Belege Ängste verbreitet. Doch die Fragen, die er aufwirft, sind dennoch relevant.

Den Mann kann man suspendieren, die Fragezeichen nicht.

Kritik kommt auch vom Immuntoxikologen Prof. Stefan Hockertz (59), Ex-Institutsleiter der Hamburger Uni-Klinik Eppendorf:

„Seehofer redet über Briefköpfe, ignoriert aber Inhalte“,

so Hockertz zur BILD-ZEITUNG:

„Wenn der Minister die Alarmsignale in den Wind schlägt, macht er sich strafbar.“

Ähnlich kritisch hatte sich Prof. Peter Schirmacher geäußert. Der Chefpathologe der Uni Heidelberg ist Mitglied der Leopoldina-Akademie, die Kanzlerin Angela Merkel berät. Er war wie Hockertz von Kohn für die Studie befragt worden.

Die Neue Zürcher Zeitung – “Westfernsehen” –  vom 14. Mai

befasst sich nun ebenfalls mit dem als solchen bezeichneten

“globalen Fehlalarm”

und dem Vorwurf, der Staat müsse damit rechnen, dass er sich

“in der Corona-Krise als einer der größten Fake-News-Produzenten

erwiesen habe.:

Oberregierungsrat Stephan Kohn kritisiert in dem Papier vor allem das methodische Vorgehen staatlicher Stellen in der Analyse der Krise. Denn auf Basis unvollständiger und ungeeigneter Informationen in den Lagebildern sei

“eine Gefahreneinschätzung grundsätzlich nicht möglich”.

Die Anzahl der Todesfälle, das führt er als Beweis an, lege nahe, dass

“Covid-19 überschätzt”

worden sei. Vor allem gegenüber der Influenza-Welle von 2017/18 mit weltweit 1,5 Millionen Toten; die Zahl der Corona-Opfer liegt lediglich bei rund 300 000 (Stand 14. Mai).

Der Autor rechtfertigt sein Vorgehen ohne Auftrag und Autorisierung seines Dienstherren mit

“Gefahr im Verzug”.

In seinen Schlussbemerkungen empfiehlt er dem staatlichen Krisenmanagement, den

“Alarmismus” in Sachen Corona unverzüglich einzustellen.

Um seine Glaubwürdigkeit wiederzuerlangen, müsse der Staat zudem

“offen mit seinen Fehlleistungen umgehen, sie einräumen und aufarbeiten”.

Sonst würden dem Staat und dem politischen System möglicherweise die eingetretenen systemischen Fehler nicht nachgesehen.

Ein Kartenhaus droht nun zusammenzubrechen.