Was sagen die heute führenden Ökonomen?

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Der grösste Ökonom seiner Generation, John Maynard Keynes, war in Paris vor Ort und nahm vor knapp mehr als 100 Jahren an der Friedenskonferenz teil, die damals den Versailler Vertrag aushandeln sollte.

Die Ergebnisse des Versailler Vertrages fanden nicht Keynes Zustimmung. Kurz nach seiner Rückkehr nach Britannien schrieb Keynes die zündende Abhandlung

“Die wirtschaftlichen Folgen des Friedensvertrags”.

Diese blendend gute Ausarbeitung sollte ihn unsterblich machte. Was er an Folgen analysierte, traf leider ein.
Keynes beklagte die Strafsanktionen des Versailler Vertrages, die Deutschland potenziell riesige Schulden für Kriegsreparationen auferlegten. Als Folge dieser Fehlentscheidungen der Politik prophezeite Keynes eine inflatorische wirtschaftliche Katastrophe, der ein politischer Rückschlag folgen würde.

Wer von den heutigen grossen Ökonomen wird die Abhandlung

“Die wirtschaftlichen Folgen der Seuche”

verfassen, die so ins Schwarze trifft wie die seinerzeit von Keynes verfasste?

Krugman, Rogoff und Summers

 

Für den linksliberalen Paul Krugman ist dies

“das wirtschaftliche Äquivalent eines medizinisch veranlassten Komas”,

doch Keynes’ Medikament der Staatsschulden könne als die notwendige erforderliche Hilfe und Stimulierung dienen.

“Vielleicht folgt auf diese Verschuldung ein leichter Kater”,

schrieb er am 1. April,

“doch der sollte keine grösseren Probleme hervorrufen.”

Nun ja, geschrieben am 1. April: Das wird wohl demnächst als “offensichtliche Scherzerklärung” betrachtet werden.

Einer der wenigen konservativen Professoren Harvards, Kenneth Rogoff – schrieb in der Karwoche von einer

“wirtschaftlichen Katastrophe . . . die wahrscheinlich ebenso schwerwiegend oder schlimmer ist als in jeder Rezession der letzten 150 Jahre”,

mit anhaltenden Auswirkungen, die potenziell zu einer

“globalen Depression”

führen könnten. Die Pandemie, meint Rogoff, ähnele einer

“Invasion von Ausserirdischen”.

Larry Summers, ideologisch irgendwo zwischen diesen beiden liegend, wählte eine eher makabre Metapher.

“Physische Isolation ist Chemotherapie”,

sagte er,

“und das Ziel ist Heilung. Das Problem: Eine Chemo wird . . . mit der Zeit immer toxischer.”

Er sieht eine einem

“Akkordeon vergleichbare Dynamik”

voraus, bis in 12 oder 18 Monaten vielleicht ein Impfstoff allgemein verfügbar ist.

Wenigstens Rogoff und Summers erkennen, dass das alles ein Desaster ist, dessen wirtschaftliche Folgen nicht einmal durch die grösste monetäre und fiskalische Prasserei aufgehoben werden können.

Einige Banken pfeifen laut im dunklen Wald und schwadronieren von einer V-förmigen Erholung . Diese Vorhersage war nach 2009 falsch, und 2020 wird sie ebenfalls falsch sein.

Die Form, die wohl realistisch ist, ähnelt eher einer seitenverkehrten Quadratwurzel – √: das also seitenverkehrt drehen – oder einem umgedrehten Schildkrötenrücken. Und die Erholung wird sicher auch eher mit der Geschwindigkeit einer Schildkröte als mit der eines Hasen verlaufen.

In der – sicher sehr ausgedehnten – Periode “nach der Sperre, vor dem Impfstoff” wird es unausweichlich zu einer Kapazitätsverringerung in allen Sektoren der Wirtschaft kommen, die von einem gewissen Grad an sozialer Nähe abhängig sind:

  • Einzelhandel,
  • Luftverkehr,
  • Bildung,
  • Live-Unterhaltung,
  • Hotels,
  • Restaurants,

Eine Wirtschaft ohne Menschenansammlungen ist ganz bestimmt kein “neuer Normalzustand”.

Denn für die meisten Menschen ist das Wort “Spass” fast synonym mit “Menschenansammlungen”. Die auf uns zukommende Zeit wird sowohl im psychologischen als auch im wirtschaftlichen Sinn eine Zeit der Depression werden.

Die Auswirkungen von Kontaktsperren und sozialer Distanzierung auf der Nachfrageseite einschliesslich des Binnenkonsums und der Investitionen lassen sich noch gar nicht quantifizieren; das gilt auch für die Effekte der Pandemie auf den Welthandel.

Während Krugman anscheinend fest damit rechnet, dass schuldenfinanzierte Hilfsmassnahmen die Nachfrage stützen, ist sich da Niall Ferguson nicht so sicher. Denn Menschen in Panik werden

  1. so viel von all diesen schuldenfinanzierten Wohltaten sparen, wie sie können;
  2. bankrotte Firmen werden die Staatsknete einsacken und weiter schrumpfen;
  3. und den anhaltenden Schlag für den Handel wollen wir gar nicht erst weiter thematisieren.

Ostern ging nun gerade vorüber. Die Bibel berichtet von der Auferstehung Jesu in nur drei Tagen. Die Auferstehung der Weltwirtschaft wird weit länger dauern.

Schön, wenn ein Keynes aus seiner ewigen Ruhe auferstünde und uns sagte, wie lang genau.

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Der Beitrag wurde inspiriert von einem Essay in einer Kolumne, die Niall Ferguson in englischer Sprache für die britische “Sunday Times” verfasst hat. Niall Ferguson ist Senior Fellow am Zentrum für europäische Studien in Harvard und forscht gegenwärtig als Milbank Family Senior Fellow an der Hoover Institution in Stanford, Kalifornien.