Explosionsgefahr in Syrien

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  • Die mit Assad verbündeten Milizen versuchen, die Rebellen einzukesseln und zur Aufgabe zu zwingen wie bereits in Homs. Aleppo ist die letzte wichtige Stadt in der Hand der Opposition.
  • Für das syrische Regime kämpfen Irans Revolutionsgardisten und von Iran finanzierte Milizen wie die libanesische “Hisbollah”, die afghanische “Fatemiyou Brigade” und die irakische “Badr Organisation”. Sie sind dabei, die Nachschubwege der Rebellen abzuschneiden. Zu den Rebellen zählt unter anderem die von Saudi-Arabien unterstützte salafistische Gruppe “Ahrar al-Sham“.
  • Moskau nimmt den USA die letzten syrischen Verbündeten weg. Zum einen attackieren russische Kampfjets die Rebellen, die von den USA unterstützt werden. Zudem wirbt Moskau um die syrisch-kurdischen “Volksverteidigungseinheiten” (YPG), den syrischen Ableger der “Arbeiterpartei Kurdistans” (PKK), der bislang zu den Verbündeten der USA zählte.
  • Unterstützt durch Moskaus Luftwaffe erobert die YPG, der syrische Ableger der PKK, Gebiete von den syrischen Rebellen. Ziel der YPG ist es, den von ihnen kontrollierten Kanton Afrin im Nordwesten Syriens mit dem Kanton Kobane zu verbinden. Dies versucht die türkische Regierung bisher vergeblich zu verhindern; sie beschießt die kurdischen Syrer mit Artilleriegeschossen über die Grenze hinweg.
  • Das Verhältnis zwischen Russland und der Türkei, das ohnehin seit dem Flugzeugabschuss belastet ist, verschlechtert sich rasant: Die russische Unterstützung für die YPG setzt die Türkei unter Zugzwang. Eine weitere Front ist durch den Angriff der YPG auf syrische Rebellen dazugekommen – nun bekämpfen sich plötzlich zwei von den USA unterstützte Gruppen gegenseitig.

 

So fasste der Spiegel am 16. Februar die Lage zusammen

Statt auf einen Waffenstillstand steuert der Konflikt auf eine weitere Eskalation zu. Im Zentrum steht dabei das nördliche Hinterland der Grossstadt Aleppo, wo alles mit seinen weitreichenden regionalen wie internationalen Implikationen derzeit kulminiert.

  • Wer will ernstlich ausschliessen, dass die Türkei völkerrechtswidrig in der Luft oder am Boden unmittelbar innerhalb Syriens eingreift?
  • Wer will ausschliessen, dass Russland sich dem entgegenstellt? Russland hat mit der Türkei eh noch ein Hühnchen zu rupfen.

 

Theoretisch könnte das als „Nato-Fall“ gewertet werden.

Theoretisch, aber vorsichtshalber winken die anderen NATO-Partner bereits ab. Eine aggressive Türkei verdient keinen Schutz der NATO. Russland hat somit den NATO-Blankoscheck, bei einem Angriff der Türkei auf syrischem Territorium militärisch zuzuschlagen.

Gleichwohl lässt sich der künftige Verhalten der Türken nur schwer einschätzen.

Kontrolliert werden die Dörfer und Kleinstädte in der Gegend von Aleppo von einer Mischung aus Rebellengruppen, die von Amerika oder der Türkei, Saudiarabien und Katar unterstützt werden. Mit von der Partie ist auch die Nusra-Front, der syrische Kaida-Ableger.

Aber seit Anfang Februar führen die Aufständischen einen schier aussichtslosen Abwehrkampf gegen russische Luftangriffe und die Bodenoffensive, die von kampferprobten schiitischen Milizionären aus dem Irak und Libanon unter iranischer Führung angeführt wird.

Seit Samstag beschiesst die türkische Armee Stellungen der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG). Washington, Paris und Berlin haben an die türkische Regierung appelliert, die Angriffe einzustellen. Doch Ankara stellt sich stur.

Im Schatten der russischen Luftangriffe hat die YPG kürzlich einen syrischen Militärflughafen südlich der Kleinstadt Azaz sowie mehrere Dörfer eingenommen. Trotz dem türkischen Artilleriebeschuss setzten die kurdischen Kämpfer ihren Vormarsch fort und nahmen am 15. Februar die Kreisstadt Tell Rifat ein, von wo sie nur zwei Ortschaften vom Gebiet des Islamischen Staats (IS) trennen. Dass die Rebellen dort einem Angriff der YPG lange standhalten können, scheint unwahrscheinlich zu sein.

Verständlich, dass die Türkei angesichts dieser Entwicklungen nervös wird. Ihr schwimmen im Norden von Syrien die Felle davon. Die Volksverteidigungseinheiten der YPG sind aber gleichwohl nicht einfach der verlängerte Arm des syrischen Regimes, wie es Ankara behauptet. Militärisch gibt heute auch nicht die PKK-Führung den Takt vor. Ihren Erfolg in Syrien verdanken sie einer Mischung aus Weitsicht, rücksichtslosem Vorgehen gegen Gegner unter den Kurden, Disziplin und hoher Opferbereitschaft.

Der politische Sündenfall der Türkei war die Schlacht um Kobane, in der Ankara dem verzweifelten Abwehrkampf der YPG gegen den IS nur zuschaute. Damit erweckte Erdogan nicht nur unter den Kurden den Eindruck der Kumpanei mit den IS-Fanatikern.

Durch ihre Hilfe haben sich die Amerikaner die syrischen Kurden zum verlässlichen Verbündeten gegen den IS in Syrien gemacht. Die Türkei setzt seither dagegen auf die Isolierung der YPG. „Terroristen“ seien diese, tönt es schrill aus Ankara.

In einer verbalen Breitseite warf Erdogan den Amerikanern kürzlich sogar vor, Mitschuld am Blutvergiessen in Syrien zu tragen, weil sie sich weigerten, die YPG und ihren politischen Arm zu Terrororganisationen zu erklären.

„Steht ihr auf unserer Seite oder auf der Seite der Terroristen?“

Nun droht Ankara in der Gegend um Aleppo ein ähnliches Szenario wie in Kobane – nur unter russischen Vorzeichen. Trotz der geplanten Feuerpause setzt Russland das Bombardement auf Rebellen fort.

Sollte die YPG ihren Vormarsch bei Tell Rifat fortsetzen, dürfte die russische Luftwaffe aber bald auch IS-Ziele bombardieren. Man muss nicht im Kaffeesatz lesen, um vorauszusehen, dass dann auch die Kritik an Moskau leiser werden dürfte. Sollten die Kurden den IS bezwingen, wären sie ihrem Ziel, ihren westlichen „Kanton“ Afrin mit den von ihr kontrollierten Gebieten im Osten zu verbinden, ein erhebliches Stück näher gerückt.

Der Albtraum für die türkische Regierung würde wahr: ein kurdischer Teilstaat in Nordsyrien.

Ankara werde nicht länger aus der Defensive agieren, sagte der stellvertretende Ministerpräsident Yalcin Akdogan.

„Wer nicht rechtzeitig handelt, wird nicht mitbestimmen können, wer in Zukunft sein Nachbar ist.“

Eine Kurzschlussreaktion der Türkei ist denkbar. Und das würde allerhöchste Explosionsgefahr bedeuten.

Baschar al-Assad und die russische Regierung haben erklärt, dass sie jede Bodenoperation der Türkei oder anderer Staaten als kriegerischen Akt bewerten und militärisch darauf reagieren würden.